Bereitschaftspflege ist eine herausfordernde Aufgabe, bei der Pflegeeltern Kinder in akuten Krisen­situationen vorübergehend aufnehmen. Die Pflegeeltern bieten den Kindern in dieser schwierigen Zeit nicht nur Sicherheit und Geborgenheit, sondern helfen ihnen auch, die Erlebnisse zu verarbeiten. Welche Rolle dabei das Festhalten von Erinnerungen spielt, dazu haben wir Anke Hagedorn befragt, eine erfahrene Bereitschafts­­pflege­­mama aus NRW.

Identitätsbildung und emotionale Heilung

Gerade für Kinder, die in schwierigen Lebensphasen in eine neue Umgebung gekommen sind, spielen Erinnerungen eine entscheidende Rolle bei der Identitäts­bildung. Für Anke Hagedorn ist das Festhalten dieser Erinnerungen in einem Buch ein unverzichtbarer Teil ihrer Arbeit. Seit einigen Jahren gibt sie ihren Pflege­kindern nun schon beim Abschied das HerzSeiten Album „Deine Zeit bei uns“ mit auf den Weg. Sie sagt: „Das Festhalten von Erinnerungen hat eine große Bedeutung für uns, um den Abschied besser aushalten zu können. So können wir alle schönen Momente und Fotos noch mal Revue passieren lassen. Die Kinder verbringen mitunter bis zu zwei Jahre bei uns.“

In dieser Zeitspanne kann so einiges stattfinden, was für die Entwicklung der Kinder prägend ist. Anke Hagedorn beschäftigt sich intensiv mit diesen Erinnerungen und bindet auch die Kinder selbst altersgerecht mit ein. Sie erzählt: „Bei den ganz Kleinen mache ich das Buch natürlich alleine fertig. Die Größeren dürfen mitentscheiden, was ihnen wichtig ist.“ Diese Möglichkeit, aktiv an der Gestaltung ihrer eigenen Geschichte mitzuwirken, hilft den Kindern nicht nur, sich bewusst an positive Momente zu erinnern, sondern fördert auch ihre emotionale Heilung und ihr Selbstverständnis.

Lebensgeschichte ohne Lücken

Nicht alle Kinder verbringen lange Zeit in einer Bereit­schafts­pflege­familie. Viele bleiben nur wenige Monate, aber auch in dieser kurzen Zeit können bedeutende Ereignisse stattfinden. Gerade bei kleinen Kindern jagt ein Entwicklungs­schritt den nächsten. Anke Hagedorn beschreibt, wie wichtig es ist, diese Meilensteine zu dokumentieren: „Auf jeden Fall kommen all die Momente ins Buch, in denen wir mit den Kindern ganz besondere Dinge erlebt haben. Bei manchen Kindern ist das auf Grund ihres Traumas zum Beispiel das erste echte Lachen. Aber natürlich auch krabbeln lernen, laufen lernen …“

Das Erinnerungsbuch hält diese wertvollen Erinnerungen fest, sodass sie nicht verloren gehen, wenn das Kind nach einiger Zeit zu einer neuen Familie weiterzieht. „Bis jetzt habe ich nur positive Rückmeldungen von den neuen Familien bekommen. Sie sind alle sehr dankbar, die Meilensteine ihrer 'neuen' Kinder nachlesen zu können. Das würde ja sonst alles verloren gehen,“ berichtet Anke Hagedorn.

Ein Gewinn für das ganze Leben

Für die Kinder selbst ist das Erinnerungsbuch nicht nur ein schönes Andenken, sondern eine wertvolle Ressource, um später im Leben ihre eigene Geschichte zu verstehen. Anke Hagedorn betont: „Auch für die Kinder ist es sehr wichtig, immer mal wieder zu schauen, wo sie mal gelebt haben. Die Kinder können sich ja nicht an alles erinnern und leider ist ja dann auch oft niemand da, den sie fragen können.“ Diese Bücher werden somit zu einer Quelle für die Biografie­arbeit, die den Kindern in späteren Jahren hilft, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und Antworten zu finden.

Ein Tipp für alle Pflegeeltern

Das Ausfüllen eines Erinnerungsbuches kann emotional herausfordernd sein, besonders wenn es um den Abschied geht. Dennoch ist Anke Hagedorn überzeugt, dass es sich lohnt: „Deshalb mein Tipp für alle Pflegeeltern: Auch wenn es schwerfällt und beim Ausfüllen einige Tränen fließen: Es lohnt sich! Einem selbst kommt es vielleicht nicht so wichtig vor. Doch die Kinder zehren davon.“

Ein Erinnerungsbuch für Bereitschafts­pflege­kinder ist weit mehr als nur eine Sammlung von Fotos und Notizen. Es ist ein Dokument, das die Reise eines Kindes durch eine schwierige Zeit festhält. Die Erfahrungen von Anke Hagedorn zeigen eindrucksvoll, wie wertvoll Erinnerungsbücher sowohl für die Kinder als auch für die Pflegefamilien sind – unabhängig von der Dauer des Aufenthalts.